Wie man in 20 Minuten 2 Jobs verliert Original auf Schreibmaschine • 2 Min Lese

Foto: Anthony Yves

20 Minuten nachdem ich zum zweiten Mal an diesem Tag gefeuert wurde, stand ich in dieser Imbissbude und aß Fleisch in Fladen. Eine alte Frau mit ebenfalls Fleisch im Mund kam mir zu nahe und sagte: „Ich habe mir die Preise hier angeguckt. Die sind gut. Irgendwas muss ja gut sein.“

Ich dachte, es wäre eigentlich ein guter Moment für einen Drink, aber ich war krank und musste noch etwas für die Uni fertig machen. Also landete ich in dem Imbissladen mit den Fladen und dem Fleisch und beschloss, nüchtern zu bleiben. Man musste ja nicht immer so dramatisch sein. Ich nahm mein Essen, das ich zum Hieressen bestellt hatte und nahm es zum Mitnehmen. Dann sah ich einen Straßenmusiker spielen, halb im Regen, und setzte mich neben ihn auf den Boden. Er spielte schön. Neben mir saß ein Junge mit Bier und Zigarette. Er lächelte mich an. Der Musiker hörte kurz auf und sagte: „Jungs,“ er meinte uns beide und den verwirrten Typ, der sich schwankend vor ihn gestellt hatte, „Jungs, es gibt drei Dinge im Leben, die wichtig sind: Liebe, Ehre und Respekt. Oh, und meine Tochter. „Und,“ er fügte noch ein fünftes Ding hinzu, „wenn man sich die Hand gibt und dabei sagt ‚Ich verspreche es’, dann ist das wie Stein.“

Ihm hatte in der vergangenen Woche der Manager einer Bar etwas versprochen: Er sollte heute um Punkt 9 Uhr vor ihrer Bar spielen. Sie hatten sich die Hand darauf gegeben. Dann, als er heute Nachmittag zum Soundcheck kam, hatten sie ihm gesagt „No Play, No Play“ und ihn stehengelassen. Das gefiel ihm nicht. Mir auch nicht, also nickte ich ihm verständnisvoll zu und aß meinen Fladen, der anfing, vor mir auf den Boden zu tropfen und fragte mich, warum ich aus meiner Bar geflogen war. Ich glaube es war wegen einem Fass Bier, das an einem Ort gestanden hatte, an dem es nicht hätte stehen dürfen. Ihnen hatte auch meine Arbeitseinstellung nicht gefallen, obwohl sie mich nie arbeiten gesehen hatten, und dass ich während der ersten Woche krank geworden war, denn das war verboten, hatte einer der Typen gesagt.

Der Musiker machte wieder eine Pause und führte seinen Vortrag fort: „Aber wisst ihr was, die können mich mal. Hier ist es eh viel schöner.“ Wir nickten. „Die haben eine verrauchte Bar, wir haben hier frische Luft! Die haben teure Drinks, wir haben viel billigere,“ und er zeigte auf das Dosenbier meines Sitznachbarn. Wir nickten wieder. „Die haben ein scheiß Publikum, wir haben ein wunderschönes!“ Mir tropfte der gesamte Fladen über meine Hose auf den Boden. Es war nicht wunderschön, aber ich nickte trotzdem. Wahrscheinlich immer noch besser als in dieser Bar. Dann fügte er an, dass er heute um Punkt 9 trotzdem dorthin gehen würde und spielen, weil er ihm schließlich die Hand darauf gegeben hatte. Er war ein Mann von Ehre.

„Nils, ich habe dich furchtbar gern, aber du weißt ja…“

– So fing die erste Kündigung dieses Tages an, sie lag erst eine Stunde zurück. Ich antwortete: „Nein, keine Ahnung, was denn?“

Claudia, die Chefin dieser Bar, machte gerade mit mir Schluss. Also mit meinem Arbeitsverhältnis, nicht mit mir.

„Naja, also wir brauchen halt jetzt jemanden, der… du weißt schon.“

„Okay, ja, schon in Ordnung.“

Es war natürlich nicht in Ordnung, aber ich wusste nicht, was ich sonst hätte sagen sollen und zu dem Zeitpunkt war mein Ego noch intakt.

„Aber wir würden dich dann ab und zu anrufen, zum Aushelfen vielleicht.“

Es klang wie ‚Lass uns Freunde bleiben’. Ich mochte Claudia eigentlich, deswegen ging ich. Schließlich musste ich auch gleich meine Schicht in der anderen Bar beginnen, also schwang ich mich aufs Fahrrad und fuhr los.

Die andere Bar hieß Krahvogel. Ich glaube, wegen dieses überdimensionalen und hässlichen schwarzen Pappvogels, den sie in die Mitte des Lokals gestellt hatten. Oder andersrum, ich war nicht sicher. Mein Job dort war es hauptsächlich, den Leuten, die Bier von mir wollten, und das waren erstaunlich viele, Bier zu geben. Ich hatte diese Bar früher gemieden, weil mir die Gestalten, die dort hinein gingen, nicht gefielen. Als ich dort arbeitete, waren die Gestalten immer noch dieselben, mit dem Unterschied, dass ich jetzt dort arbeitete. Während der Arbeit starrte ich stundenlang auf die Zapfhähne, die wie bunte Dildos von der kupfernen Anlage abstanden und wartete darauf, dass ein Zettel aus der kleinen Bon-Maschine kam, der mir mitteilte, welche Art Bier jetzt genau verlangt wurde. Es war wie den ganzen Tag auf seinen eigenen Briefkasten zu starren. Oder pausenlos auf den Email- empfangen-Button zu klicken. Wenn dann einer kam, freute ich mich insgeheim. Es war wie Post zu bekommen und ich durfte sie als Erster lesen. Heute kriegt man ja kaum mehr Post, die etwas Gutes bedeutete. Also starrte ich auf die Zapfdildos und meinen kleinen Briefkasten und bekam dafür 7 Euro die Stunde.

Als ich ankam, freute ich mich schon fast auf die Arbeit, immerhin war ich länger krank gewesen und ich mochte die bunten Dildos und meine Kolleginnen. Und ich brauchte das Geld, das war klar. Immerhin hatte ich noch diesen Job, dachte ich mir, alles andere wäre ungut, und ahnte nichts von fehlgeleiteten Fässern. Man kann schon mal einen Job verlieren, das passiert, dachte ich mir, als ich das Rad an eine Laterne sperrte und den Personaleingang beschritt. Ich begrüßte meine Schicht-Chefin mit einem Wink und einem Augenzwinkern. Sie winkte aber nicht zurück wie sonst, sondern mich zu ihr ins Büro. Dann, bevor sie etwas sagen konnte, kam mein Chef von hinten an, sagte irgendetwas von was machst du denn noch hier und setzte mich davon in Kenntnis, dass ich wieder zu gehen hatte. Er wäre ja schon lange fertig mit mir. Es war das erste Gespräch, das wir beide hatten, wir kannten unsere Namen nicht. Er sagte das mit dem Fass, ihr wisst ja, und dass er bei der Versicherung angerufen hatte und dass ich gar nicht krank gewesen wäre und dass es ihm Leid täte, dass das nicht so gut funktioniert hatte. Ich sagte ihm, dass das eigentlich ganz gut funktioniert hatte und gab ihm die Hand. Dann setzte ich mich an die Bar und ein Bekannter informierte mich, dass in Afrika irgendwer gerade herausgefunden hätte, wissenschaftlich herausgefunden hätte (in Nigeria war es glaube ich), dass es nicht normal sei, schwul zu sein. Wir unterhielten uns dann noch über Penisse und ob wir uns selber einen blasen würden, wenn wir könnten (er nein, ich JA).

An derselben Bar erfuhr ich dann noch, dass die Typen, die mich rausgeworfen hatten, dieselben Typen waren, die den Straßenmusiker so verärgert hatten. Und dann bekam ich plötzlich Hunger und sah diese Imbissbude auf der anderen Seite der nassen Straße.

Sie verkauften Fladen.

Kommentare

  1. Meike

    Jetzt habe ich alle Geschichten aufgesaugt – und diese ist definitiv mein Favorit! Skuril, witzig und traurig. Hoffentlich reine Phantasie. Mehr davon!
    ♥ Meike

  2. Nils Ketterer

    Liebe Meike, vielen vielen Dank! Leider keine Phantasie. Aber dafür kommen ab jetzt immer mehr Geschichten.

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