Fahranoia

In der Pannierstraße wurde ein Freund von mir ermordet. Von sich selbst. Das klingt jetzt kompliziert, war aber in den Spielregeln vom Krimidinner so festgelegt. Deswegen war ich hier, im Detektivoutfit. Deswegen war ich betrunken wie Nachbars Lumpi und wahrlich nicht nur das. Jetzt konnte mir nur noch ein Taxi helfen. Taxifahrer sollten Freund und Helfer heißen, nicht die Polizei. Taxifahrer sind auch viel diplomatischer und kennen sich besser aus und außerdem sind sie Autoritätspersonen, mit denen sich es niemand verscherzen will. Weil wir sie brauchen und sie uns. Und sie können Gedanken lesen. Taxifahrer können Gedanken lesen. Du brauchst nur einsteigen und die wissen schon, dass du betrunken bist plus X und nach Hause willst. Schlaue Leute, und sie können zudem jeden noch so gelallten Straßennamen heraushören. Außerdem haben sie schwarze Ledersessel und das gibt mir das Gefühl, manchmal doch noch zur bürgerlichen Mittelschicht zu gehören. Als hätte mein Klavierunterricht doch noch was gebracht. Minus 15 Grad, so ist das in Berlin im Winter. Manchmal ist es auch so im Frühling und im Herbst eigentlich auch und manchmal im Sommer, aber trotzdem finde ich das nicht richtig. Meine Jacke lag noch in meinem Auto, weil ich das bescheuerte Detektivoutfit anziehen musste und dieses Auto war jetzt nunmal leider in Neukölln festgefroren.

Außerdem ist Taxi Life. Egal wie arm und pleite ich bisher in meinem Leben gewesen war, ich bin immer noch irgendwo hin Taxi gefahren. Das liegt einerseits daran, dass ich nicht mehr laufen kann, wenn ich betrunken bin, andererseits daran, dass ich es wirklich liebe, diese Ledersitze und irgendwem sagen, wohin ich möchte und dann macht der das. Wenn ich mir selbst sage, wo ich hinwill, da passiert nie etwas. Ein bisschen wie mein fahrendes Bett, von dem ich immer geträumt hatte. Ich wollte immer ein Bett, mit dem man nachts nach Hause fahren kann, liegend, mit einem Steuerknüppel in der einen Hand, und einem Döner in der anderen. Prenzlauer Berg, sagte ich, und ich weiß, das kommt bei den Taxifahrern nicht gut an, weil die wohnen alle in Pankow oder an der Leinestraße mit ihren Familien und die Prenzlauer Berg Snobs fahren immer mit dem Taxi nach Hause und das kotzt sie eigentlich ein bisschen an. Obwohl sie sie brauchen kotzt es sie an, dass diese jungen Schnösel überall mit dem Taxi hinfahren. Ich würde wahrscheinlich auch wie ein junger Schnösel wirken, wenn ich nicht meistens in Bademantel und Gummistiefeln von Späti zu Späti stolpern würde. Also setzte ich mich rein in das Taxi und sagte Gleimstraße, da bei der Schönhauser Allee, und lehnte mich zurück in mein Bett aus schwarzem Leder und ließ das Zeug hinter meinen Augäpfeln schwirren.

Was meinst du Gleimstraße Bruder, wosndas? Ah, da Kreuzberg, ne?

Ne Mann, Prenzlauer Berg. Schönhauser Allee da.

Ah. Also, fahren wir über die Tunnel, ne?

Ne, was für Tunnel

Na die Tunnel, Mann. Is viel schneller. Willste? Sollen wir? Oder nisch.

“Keine Ahnung Mann ich will nur nach Hause, fahr wohin du willst aber lass mich in Ruhe meine Backe an das Mittelstandsleder schmiegen.”- wollte ich sagen, aber verkniff es mir, weil man muss immer nett sein zu seinem Taxifahrer, das ist die eine goldene Regel. Das Zeug in meinem Blut und der Whiskey in meinem Kopf machten das alles nicht einfacher. Außerdem gibt es in Berlin nur einen Tunnel, den am Hauptbahnhof. Da fährt man auf der einen Seite rein und weiß nie, wo man wieder rauskommt. Das ist lustig, aber wirklich nicht jetzt. Ich öffnete Googlemaps. Es schlug drei Routen vor. Die eine wäre jetzt in den Norden, die nächste wäre vorne an der nächsten Ampel dann nach Norden abbiegen und die dritte wäre, dann nach 500 Metern nach Norden abbiegen. Der gute Mann fährt trotzdem weiter westwärts. 10 Minuten lang. Richtung Dortmund oder so. BITTE WENDEN UND AN DER NÄCHSTEN KREUZUNG– schrie das Navi, bis ich checkte, dass ich den Ton angelassen hatte. Wo fährt der mich hin? Nach Hannover? Kann man da mit Karte zahlen?

Glaubst du mir nicht, oder was? Glaubst du isch lüg disch an. Wir können auch umdrehen.

Ich dachte, umdrehen wär’ jetzt ganz schlecht, weil wir schon eine Weile gefahren sind.

Ne fahr mal. Es ist nur so, die letzten Male haben mich die Taxis immer auf der vom Navi vorgeschlagenen Route gefahren und ich fahre selber auch immer so und in Berlin gibts doch gar keine Tunnel. Die sind jetzt alle Museen. Aber wenn du meinst, das ist gut so, dann fahren wir jetzt da hin. Is mir egal.

Ich hatte den Krimidinnerfall gelöst ohne Ahnung von Nix. Ohne Anstand oder Widmung habe ich am Ende einfach alle Fakten und Indizien ignoriert und den als Mörder genannt, der sich am komischsten verhalten hat. Und wer sind wir überhaupt. Wir essen Muscheln und Ratatouille und spielen Krimi und niemand ist reich und uns geht’s bestens. Das ist schon verdächtig genug. Wir sind nur eine depressive Zwischenphase zum Aufstieg. Weil Benzin am Ende auch nur zusammengepresste Dinosaurier sind. Ich fasste mit meiner Hand neben mich, da lag mein Lederhandschuh, das war gut. Moment, hatte ich den verloren? War ich schon so dicht? Ich nahm ihn auf meinen Schoß. Da ist aber noch einer. Da lagen zwei, alle beide lagen da. Ein bisschen komisch war der Handschuh. Ein bisschen zu dünn, ein bisschen zu weich. Scheiße, das war nicht mein Handschuh. Meine Handschuhe lagen schon mit meinem Buch auf meinem Schoß. Der neue Handschuh war nicht von mir. Aber jetzt hatte ich drei auf dem Schoß. Naja, kommt alle rein, es ist kalt. Ihr könnt gern bleiben, ich bin da nicht so, dachte ich.

Wir hielten an einer Ampel.

Bruder was ist wieso fährst du so nah ran an mein Wagen?

Ich hab überholt

Ja aber was fährst du so nah an mein Wagen ran

Die zwei schauten sich zehn lange Sekunden an. Die Ampel sprang auf Grün. Beide Spuren dieser Straße waren voll mit ihrem Testosteron. Niemand fuhr los.

Bruder was fährst du so nah an mich ran

Ich will schnell fahren. Du fährst langsam.

Bruder, was fährst du so nah an mein Wagen

Zehn Sekunden guckten sie sich an. Die Fenster gingen hoch. Wir fuhren los und der andere auch. Die Ampel war immer noch grün. Mein Taxityp guckte durch den Spiegel zurück zu mir. Wir schienen ganz okay in der Zeit. Diese geheimen Tunnel schienen zu funktionieren. Dann sagte er: “Weißt du, also, wenn ein Fahrgast, oder ne, wenn ich einen Fahrgast oder ein anderer Fahrgast jemanden anderen bestiehlt, weißt du, dann kommt das irgendwann in deinem Leben oder eher danach, weißt du, das kommt dann zurück. Ich bin Muslim, bei uns glaubt man, dass man nicht Leute abziehen darf, also lügen oder stehlen oder so. Das ist wichtig. Glaubst du mir nicht, dass ich dich nach Hause fahre, oder was? Ich zieh dich nicht ab, weißt du, das kommt zurück, wenn man jemanden abzieht. Einfach was nimmt, was einem nicht gehört, weißt du, das ist Karma, das kommt zurück.

Ich hatte keinen Plan, was der Typ meinte. Aber der scheiß Handschuh war sowieso auf dem Weg in die Hölle. Als Waisenkind auf dem Weg in die Hölle, da hatte er es besser bei mir. Mein Fahrer guckte mich im Spiegel an. Ich hatte erst nicht hingeguckt, aber er guckte nicht weg. Er fuhr einfach und guckte mich an. Ich weiß gar nicht, wie man überhaupt so fahren konnte. Vielleicht fährt Allah so.

Ja, ist auf jeden Fall scheiße, ein Arschloch zu sein. Aber was meinst du?

Ne ich sag nur, ne, weißt du, wovon ich spreche?

Äh, nee, um was geht’s? Meinst du den Handschuh oder was?

Er reagierte nicht.

Ich sag nur, wenn ein Fahrgast jemanden abziehen will, das geht nisch. Glaubst du isch zieh disch ab? Isch will das beiseiteschaffen, weißt du.

Wir standen auf der Straße vor meiner Tür. Zeit schien okay. Das Geld schien okay. Ich war gar nicht okay. Er so, zahlst du in der App, ich so, ja und stieg aus. Ich dachte mir, Gottseidank bin ich aus der Nummer raus ey. War ja schon weird genug, dass ich mir einfach Handschuhe klaue. Aber das war ja nicht mal meine Schuld. Ich meine, der lag da und ich dachte ja nur, ich hätte meine verloren und anders wäre der Handschuh ja gar nicht auf meinen Schoß gekommen. So war’s. Wenn der dann einmal auf dem Schoß liegt, dann kann man ihn ja auch nicht einfach wieder rauswerfen. Kann man schon mal mitnehmen. Vor allem wird da niemand weinen, es ist Berlin, es ist ein Taxi. Entweder holt sich den der Fahrer oder der nächste Fahrgast, aber in der Fundgrube wird der nie enden. Und selbst wenn, wird da niemand anrufen, also das war schon okay, dass ich den geklaut hatte. Der war auf dem Weg in die Hölle, so wie ich. Und dann laufen wir eben zu zweit weiter. Wenn ich Glück hatte, hatte der Fahrer das gar nicht mitbekommen und ich war einfach verdammt paranoid. Das war es. Paranoid war ich. Und ein Dieb. Aber ein Dieb, der jetzt seinen Haustürschlüssel rausholen konnte und sich ins Bett legen.

Ich machte ein paar Schritte auf meinen Eingang zu. “Ey Großer!”, der Fahrer ließ das Fenster runter und guckte mich an.

“Du hast deinen Handschuh vergessen.”

Ich blieb stehen. Guckte ihn an. Ging zurück um das Taxi herum zu meiner Tür. Machte sie auf. Der Handschuh lag in einem Eck. Ich nahm ihn und schloss die Tür.

Der Fahrer stand dort, mit heruntergelassenem Fenster und guckte mich so finster an, wie der scheiß Himmel über Berlin in diesem Winter war. So finster, wie der Mord von meinem Freund an sich selbst und so dreckig wie meine Detektivarbeit und mein Gewissen und meine Gedanken. Alles dreckig. Ich guckte zurück und ging langsam zu meiner Tür. Dann drehte ich den Schlüssel um und öffnete die Tür. Ich schloss sie. Der Taxifahrer guckte mir nach.

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