Schubladophobie

Ich bin wirklich ein entspannter Typ. Aber wenn mich jemand in eine Schublade steckt, drehe ich durch. Ich kann da gar nix dafür. Da gehen in meinem Kopf lauter rote Warnlampen an, ein paar Sirenen und diese Sprinkleranlagen an der Decke. Und ich steh da, ganz nass und wütend. In meinem eigenen Dampf. Ich weiß gar nicht, woher das kommt. Das war schon immer so, stand sogar in der Abizeitung über mich. Vielleicht bin ich als Kind mal in eine Schublade gefallen und nicht mehr rausgekommen.

Ich versuche euch das mal zu erklären. Mensch trifft Mensch, Gespräch. Einer sagt, er geht gerne in die Berge. Dann der andere so: „Oh, du bist also ein Outdoortyp!” ZACK, Schublade zu. Er sagt, er war neulich im Wald, sie sagt, sie ist leider Stadtmensch. ZACK, Date over. Jemand sagt, er ist single. ZACK, Schublade zu „Kein Beziehungsmensch!” Jemand sagt, er steht auf Techno” – ihr könnt es euch denken: ZACK ZACK ZACK. Ständig krachen diese verdammten Schubladen zu. Die Welt ist voller Post-Its mit irgendwelchen standardisierten Labels. Anscheinend verstehen wir sonst nichts. Wir brauchen das. Ach, du bist also Typ Mensch 1. Der gestern war ja Typ 2.

Wenn man also gerade keine Lust auf Erdbeeren hat, ist man gleich der Gemüsetyp. Und wenn man mehr als nur einen Job oder Wohnort hat, ist man der Unentschlossene. Kaum bist du nachts auf, bist du ein Nachtmensch und demzufolge kein Morgenmensch mehr. Das gleiche gilt für den „pünktlichen Typ“, den „Ordnungstyp“, und meinen Liebling, den „Planungsmensch“ (die dürfen nämlich nicht spontan sein). Es ist eine Pest, wirklich. So primitiv. So beschränkend, mich macht das krank. Bloß weil du damals in Mathe nicht aufgepasst hast, heißt das nicht, dass du nicht der Typ dafür bist. Geschweige denn, dass du es niemals können wirst. Nur, weil die deine Mutter nervt, heißt das nicht, dass du kein Familienmensch bist. Nur weil Katzen vor dir weglaufen, heißt das nicht, dass du ein Hundetyp sein musst. Wenn du jetzt und hier mit jemandem schlafen willst, bist du nicht grundsätzlich ein One-Night-Standler. Was ist das für eine verschrobene Dialektik?!

Ich finde Illa J und Marlon Craft fantastisch, bin ich jetzt Hip Hopper? Muss ich dann in deinem Kopf auch immer Baggie Pants und eine Cap anhaben, damit dein Weltbild zusammenpasst? Dieses bescheuerte Schokolade-oder-Vanille-Spiel. Irgendwann gipfelt das in einem „Ich könnte nie mit einem Typ X zusammen sein.“ Gerade heute lief mir wieder so ein First World Artikel über den Weg: „Ich würde nie einen Typ mit Dialekt…“ Was ist denn das bitte für ein – Pardon – SCHEIß! Das Leben ist nicht so schwarz-weiß, wie ihr es gern hättet. Die Liebe erst recht nicht. Eure schwindeligen Beziehungen vielleicht, gut. Aber beim Rest brauchen wir mehr grau, bitte. Ich bin Typ grau. Team Grau. Für immer. Wir sind Menschen, wir sind so vielschichtig wie bunt wie unberechenbar. Sonst wären wir Algorithmen oder Merkels Neujahrsrede. Ein bisschen mehr Menschenkenntnis bitte.

Ich will Gipfelkreuze UND Dachterrassen. Ich will Schoko UND Vanille. Ich will ein Brot mit Nutella UND Himbeermarmelade UND Pflaumenmus auf einmal, in Streifen. Ich will Kochen UND Pizzabestellen. Salat UND Steak. Kaffee mit Zucker UND ohne. Wow, manchmal sogar mit Milch. Sport UND Schreibtisch. Party UND Sofa. Fancy Business Dinner UND verrauchte Bar um 4. Sternehotel UND Draußenschlafen. Ich will Rachmaninow UND Sprayen. Jazz UND Disney. Meine Güte, ist das so schwierig zu verstehen? Früher war man halt Schmid oder König oder… Fräulein. Flache Profile. Heute können wir alles sein, was wir wollen. Sagen doch immer alle. Worauf wartet ihr noch?

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