Balz in Zeiten von Gender Eine Leidensgeschichte • Glamour • 3 Min Lese

Foto: Anthony Yves (lieben Dank an die beiden adretten Damen)

Macht es euch gemütlich, liebe Frauen, denn ich muss mich jetzt vor euch ausziehen – rein emotional natürlich.

Ich bin verzweifelt. Weil ich euch nicht verstehe. Irgendwie reden wir mit den gleichen Wörtern von verschiedenen Dingen, und keiner weiß, wer nun eigentlich auf dem Weg in die Gleichberechtigung welche Rolle einnehmen soll. Das führt uns ins absolute Chaos. Oder noch schlimmer: in jene Sex-Sackgasse, die mich in den letzten Monaten zu diesem Text brachte.

Während ich mein Shirt ablege, erzähle ich euch von einem Mädchen, das mir in der Bibliothek gegenübersaß. Sie sah toll aus, als wäre sie gerade von einem Weingut in der Toskana gekommen, und hatte ein italienisches Buch über die Mafia vor sich liegen. Es war wie in der Metro, man blickt sich an, lächelt, schaut weg. Dieses Spiel spielten wir für Stunden. Dann stand sie auf und ging. Einfach so! Ich bin ihr dann aufgeregt hinterhergestolpert und habe sie nach ihrer Nummer gefragt, sonst hätte ich das bereut. Sie hieß Lena und hat sich gefreut. Später knutschten wir vor den Augen irgendeines Barkeepers, was uns beide gefreut hat. Aber wenn ich nicht die Initiative ergriffen hätte, wäre gar nichts passiert.

Ich frage mich in solchen Situationen immer: Ist es euch das nicht wert? Warum sprecht ihr nicht mal den Mann an? Warum passiert das so selten? Es ist toll, dass wir Frauenrechte großschreiben – doch es gibt da auch ein paar Pfichten. Ihr aber besteht darauf, dass der Mann „Mann“ ist und euch anspricht und einlädt und verführt. Am besten soll er euch vor dem Sex auch noch ins Bett tragen. Okay, manchmal über nehmt ihr Rechnungen und macht Türen selber auf, aber beim wichtigsten Teil des ganzen Spiels seid ihr Kätzchen geblieben. Ohne Kater geht also doch nichts. Schade eigentlich. Ich mag Frauen, die wissen, was sie wollen und auch den Mut haben, das durchzuziehen. 08/15 gewinnt kein Date. Eine besondere Frau, die ihr Ding macht, „Ja“ oder „Nein“ sagt statt „Ich weiß nicht“ – das ist attraktiv, selbstbewusst und sexy. Da ist kein Platz für Cola Light!

Auf der Straße ist es am schlimmsten. Lächeln wir euch an, legt ihr oft einen Blick auf, als wäre euch gerade eingefallen, dass Krieg ist. Helft uns doch ein bisschen, Initiative ist absolut anziehend! Lächeln allein ist nicht genug. Und wer nicht ständig abgeschleppt werden will, muss auch mal jemanden abschleppen.

Ich habe meine ganze Jugend, also die Neunziger, damit verbracht, endlich „Frauenversteher“ zu werden. So stand das immer in der „Bravo“. Rückblickend war das der größte Fehler meines Lebens (neben dieser einen „letzten“ Maß auf dem Oktoberfest vor ein paar Jahren). Denn über das ganze Verstehen habe ich schließlich aufgehört, wirklich verstehen zu wollen. Das, was man als Mann mit euch erlebt, ist oft schlicht weg absurd. Vor ein paar Wochen zum Beispiel stand diese unbekannte Frau neben mir am Geldautomaten. Sie war wunderschön. Und hatte in meinen Gedanken plötzlich nicht viel mehr an als ihr Grinsen. Am nächsten Tag saßen wir ineinander verknotet in einem Café im Münchner Westend, während draußen alles nass vom Regen war. Als ich sie später mit dem Regenschirm zum Auto brachte, schenkte sie mir die verrückteste Verabschiedung: Sie küsste mich, nahm meine Hand und führte sie an ihren Busen. Dann drehte sie sich um – und ging! Ich simste ihr später, dass ich gern mit ihr nach Hause gefahren wäre, worauf sie völlig außer sich antwortete, dass sie keine für eine Nacht wäre. Verwirrt bat ich um Entschuldigung. Daraufhin schlug sie eine lockere Affäre vor. Ich habe das bis heute nicht verstanden. Eine Nacht nein, zwei Nächte ja? Dazu kommt, dass ich noch gar nicht über eine zweite Nacht oder gar einen Tag nachgedacht hatte – hatte ich das schon nichts ahnend ausgeschlossen?

So, mein Gürtel ist inzwischen ebenfalls weg. Bevor meine Hose fällt und es ein bisschen intimer wird, muss ich ein paar Dinge von mir erzählen. Ich bin als Mann manchmal Klischee: Bier, Bälle, Bart. Feuer machen, Wache halten. Aber ich fahre genauso mit dem Damenrad in ein Musical oder setze mich traurig ans Klavier. Ich komme aus einer Familie mit wirklich souveränen, tollen Frauen, Gleichberechtigung war für mich immer selbstverständlich. Bis zu dieser Gender-Vorlesung im zweiten Semester. Die Vorwürfe des „Phallozentrismus“ machten den Mann in mir fertig – und mein Frauenbild gleich mit. Das ging irgendwann so weit, dass ich mir Bücher wie „Is There Anything Good About Men?“ auslieh und Artikel über die männliche Fähigkeit, Milch zu geben, las. Meine ausgiebige Beschäftigung mit diesen Themen bewirkte eine Sache: Ich glaube bis heute, dass ich mehr Augenhöhe suche als einige von euch Frauen.

Eine Jeans ist längst ausgezogen, die Socken auch. Doch ich bin noch nicht fertig. Eines Abends saß ich im Pub in einer Männerrunde. Es ging um Syrien, den Weltfrieden und fettreduzierte Joghurts. Da kam diese Wahnsinnsfrau an unseren Tisch. Sie strich ausgerechnet mir über den Rücken, setzte sich dicht neben mich und fragte, ob ich mit ihr, wenn wir Männer hier fertig sind, noch ein Bier trinke. Ich brauche sie nur anzustupsen, und sie warte solange an der Bar. Völlig perplex bin ich dann hin und habe sie angestupst. Sie hakte sich bei mir ein, und ich kam mir vor wie ein fälschlicherweise zum König gekrönter Landstreicher. Im Taxi legte sie eine Hand auf mein Knie, holte ihr Handy raus und telefonierte die nächste halbe Stunde mit ihrem Freund, der ihr offenbar befahl, sofort nach Hause zu kommen. Während all dem sah sie mich an, lächelte verführerisch, verdrehte die Augen. Ich habe mich irgendwann von ihr verabschiedet. Was zur Hölle war da passiert, fragte ich mich in den nächsten Tagen immer und immer wieder. Wollte diese Frau Jäger und Sammler spielen? Hatte sie eine Wette verloren? War sie einfach nur jung und betrunken? Moment, betrunken wäre egal, so sind wir am ehrlichsten. Also, wollte sie einfach mal schauen, was geht? Liebe Frauen, es geht alles, was ihr wollt. Ihr müsst nichts austesten. Mir gefällt es ja, wenn mir solche Absurditäten passieren, sonst könnte ich meine Geschichten einpacken und Grafkdesigner werden wie alle. Aber ein Gefühl bleibt von diesem Abend bis heute zurück: größtmögliche Irritation.

Balz in Zeiten von Gender ist nur verwirrend. Und hat zur Folge, dass am Ende gar nichts mehr geht, auch bei anderen Männern. Einer meiner besten Freunde antwortete neulich auf meine Frage, wie es bei ihm so im Bett läuft: „Sex? Oh ja! Habe gehört, das soll gut sein.“ Und dieser Freund ist wahrscheinlich einer der sexiesten Männer diesseits der Alpen, muss ich neidlos anerkennen.

Okay: Unterhose. Sie ist ja das Bindeglied zwischen Sex und Liebe. Und genau darum geht es am Ende. Nackt wie ich jetzt vor euch stehe, meine Liebesgeschichte aus Paris: Vor ein paar Jahren lebte ich in der Stadt der Liebe und der Diebe. Diese wunderbare Stadt, die nach Parfum und, Pardon, Pisse riecht. Ich sagte mir: Gut, du bleibst für ein halbes Jahr – es sei denn, du verliebst dich. Und ich verliebte mich. Estelle studierte Architektur, und ihr ganzer Name bedeutete etwas wie Springbrunnen mit Sternen drin. Ich traf sie auf einer Feier in einem alten Fabrikgebäude. Drei Stockwerke mit riesigen Glaswänden, die den Blick auf den leuchtenden Eifelturm preisgaben. Ich sagte „Hey“, sie sagte „Hey“, zwei Lächeln. Irgendwann landeten wir knutschend an dieser Wand im Garten und sagten uns allerhand heiße Sachen in einem gehauchten Mix aus Französisch und Englisch. Die nächsten Tage schrieben wir uns und verdammt – kann ich mich in gute SMS verknallen! Als wir uns auf dem Centre Pompidou endlich wiedertrafen, ging gerade die Sonne unter. Wieder Knutschen, fast zu wild für diese Rolltreppe, auf der wir standen. So wie die Sonne durch ihre Haare fiel, war sie die schönste Frau, die ich je gesehen hatte. Es war so ein Moment, in dem Faust wahrscheinlich gesagt hätte: „Weißt du was, Mephisto, lass mich hier, ich pfeif auf unsre Wette.“ Ich wollte mit ihr in die Provence. Aber ich war nicht Faust, und sie sagte dann diesen netten Satz: „I have a boyfriend.“ Ein bisschen später entleerte sich ein ziemlich fetter Spatz auf meinen Kopf. Und obwohl sie sich noch dreimal umgedreht hatte, bevor sie hinunter zur Metro ging, sah ich Estelle nach diesem Abend nie wieder. Manchmal klicke ich auf Facebook durch ihre Bilder, öffne das Nachrichtenfeld und schließe es wieder. Auch diese Frau habe ich bis heute nicht verstanden.

Mein Herz hat das mit Paris überstanden, Estelle und ich kannten uns ja nicht lange. Vielleicht war sie für mich nur eine Idee von Glück. Aber es kam mir so vor, als gingen Französinnen generell etwas freigiebiger mit Liebe und Sex um. Vielleicht sollten wir davon lernen. Warum nicht ein bisschen behutsame Sex-Inflation, ein bisschen weniger verstockt. Weniger kompliziertes Schwarzbrot, mehr emotionales Croissant.

Ich bin für mehr Liebe und weniger Beziehungen, für mehr Sex und für Frauen, die auch mal ohne Bienchen und Blümchen und Allesganzfurchtbarkompliziert können. Sex ist etwas – da würde jeder Gender-Freund wahrscheinlich zustimmen –, das zwei Menschen glücklicher machen soll. Sex ist nichts mehr, was ihr gebt und der Mann bekommt. Zum Glück. Aber deswegen müsst auch ihr ihn euch ab und zu holen, ohne Umwege. Vielleicht so: Ein Hey, ein Lächeln und mal nicht gehen, bevor ihr kommt.

Über den Autor:

Nils Ketterer, 26, Autor, hat vier Cousinen, eine Handvoll guter Freundinnen und zehn Ex-Mitbewohnerinnen. Er hat inzwischen eingesehen, dass man nicht immer alles verstehen muss und jobbt jetzt auf der Baustelle, um sein Männer-Image aufzupolieren.

Kommentare

  1. nina

    herrlich, ehrlich…. da les ich gleich nochmehr!!! es gibt nichts gutes, außer man tut es !!! (ist zwar geklaut, aber is doch scheißegal!!!!)

  2. Nils Ketterer

    Hey Nina!

    Das freut mich SO. Danke. Ist das dann das Gleiche wie: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“?

  3. peter

    übelst geil – werd mich jetzt hier einnisten 😛

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