Weinnacht

ALEXANDRE MENDEZ alexandremendez.com nousavonsuncertainmodedevie.com

17 Uhr war eigentlich Teezeit. Statt Tee aber klopfte es an der Tür.

 Empfohlener Soundtrack


Gott, wie ich die Vorweihnachtszeit hasste. Und Weihnachten. Den ganzen Scheiß. Schlimmer als Weihnachten war nur Weihnachten in Manchester. Ich lebte in einer dieser heruntergekommenen Gemeindewohnungen, außen Backstein, innen geschmacklos. Eine Meile vom Zentrum entfernt, voller Bohème, Musiker, Künstler, weit und breit kein Mainstream. Das war gut, Mainstream konnte mir gestohlen bleiben. Ich wollte Indiescheiß. Gitarrenmusik. Punk, Rock, Punkrock. Fuck the System und so. Ein paar Platten, ein bisschen Weed, ein bisschen andere Sachen und billigen Gin. Mehr brauchte ich nicht. Mein Stream war die Musik.

Aber was hilft das, wenn es an der Tür klopft und niemand da ist, der für dich seinen Arsch von der Couch bewegt und aufmacht. Mary war nicht da. Nie war sie da, wenn man sie brauchte. Ich nahm die Nadel von der Platte und ging rüber zur Tür. In dieser Gegend war es normal, dass man vor dem Aufmachen durchs Schlüsselloch guckt. Just in case, ihr wisst schon. Da standen ein kleines Mädchen und ein Junge. Fuck, Sternensänger. Ich war am Arsch, das wusste ich, das war mein Ende. Aber wenigstens aufmachen würde ich ihnen, das gebot die Höflichkeit. So viel Engländer war ich dann doch noch. Als die Tür aufging, wurden die zwei kleinen aus dem Weg geschubst und rannten die Treppe runter. Drei Männer drückten mich in die Wohnung und schlossen die Tür hinter sich.

„Setz dich“, sagten sie. „Gut. Okay, also pass auf, wir nehmen jetzt dein Zeug mit. Aber sieh es als Business, du kriegst das ja alles von der Versicherung wieder.“

Und dann fingen sie an, meine Gitarren und meine Verstärker auf den Gang zu tragen. Ich saß auf meinem Stuhl neben der Tür, wo ich mir üblicherweise immer die Schuhe anzog. Der eine Typ trug meine alte Fender an mir vorbei auf den Gang, kaute auf seinem Kaugummi und zwinkerte mir zu: „Wieso spielst du nicht ein bisschen Bass für uns, während wir hier noch beschäftigt sind“

„Ja, Mann, spiel was!“, sagte der zweite. Der dritte trug meinen großen Marshall vor sich her wie einen Weihnachtstruthahn. Ich hängte mir den Bass um, stöpselte ihn ein und drehte die Effekte runter. Das einzige, was mir in den Kopf kam, war dieses Riff aus I want you back von den Jackson 5. Das hatte ich nie so richtig hingekriegt. Also spielte ich das, während sie mein Zeug auf den Gang schafften.

„Hey, Mann, da liegt so ne Kreditkarte. Von einer Mary. Bist du das, Gaylord?“

„Das ist meine Freundin“, antwortete ich und nickte zu dem Beat, den ich selber spielte. Ich kriegte ihn richtig gut hin, so gut hatte das noch nie funktioniert.

„Ne, Mann, von Frauen klau‘ ich nix. Gib mal deine.“

Ich gab ihnen meine EC-Karte.

„Pin auch, Mann, was soll ich denn nur mit der Karte!“

Ich kritzelte die Pin auf eins meiner Notenblätter und riss den Zettel ab.

„Jungs, ich war letztes Mal. Wer von euch geht checken?“
„Ey, auf keinen Fall, ich war letztes Mal.“

„So ein Scheiß, ich muss jedes Mal, weil ihr vergessen habt, wer dran ist. Vergesst es. Außerdem ist die Bank voll weit weg. Nimm einfach die Karte, Mann.“

„Okay, Gaylord. Wir vertrauen dir mal ausnahmsweise. Hast Glück. Aber wenn da was nicht stimmt, sehen wir uns wieder, hörst du!“

Wochen später erfuhr ich, dass diese Typen manchmal die Leute zwangen, richtig starkes Weed zu rauchen, um sie handlungsunfähig zu machen. Auch das haben sie mit mir nicht gemacht. Ich war ihnen handlungsunfähig genug. Ich nahm wieder den Bass in die Hand und zupfte. Happy Days.

Als alles draußen vor der Tür stand, nahm mir der fies aussehende Typ noch den Bass aus der Hand und fragte mich: „Ähm, kann ich mal dein Telefon benutzen?“ Ich gab ihm unser rotes Plastiktelefon mit den dicken Wähltasten rüber und er tippte eine eher kurze Nummer. Kurze Pause.

„Ja, hi, ich brauche ein Taxi in der Harrington Street 24. Danke. Bye.“

Ich saß noch auf meinem Stuhl, als sie unten vor der Tür alles in den Kofferraum und hinten auf den Sitz stapelten. Das Taxi fuhr los. Ich saß noch kurz so da. Das Verstärkerkabel hatten sie vergessen, es lag neben mir auf dem Boden. Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, Fotos von Kriminellen in Manchester durchzublättern. In meinem Polizeistatement hatte ich gesagt, dass sie aussahen wie Anfang 20. Aber als sie nach ein paar Wochen aufflogen, stellte sich heraus, die waren alle siebzehn und wohnten noch bei ihren Mums. Die hatten nicht verstanden, warum sich in den Schlafzimmern ihrer Söhne so viele second-hand Gitarren, Stereo-Anlagen, Fernseher und Videorecorder stapelten. Irgendwann wird das einfach verdächtig, schätze ich. Alle 20 Leute, die sie ausgeraubt hatten, bekamen ihr Zeug wieder zurück. Auch ich. Umgezogen bin ich aber trotzdem. Scheiß Weihnachten, echt. 

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ALEXANDRE MENDEZ
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